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  • AutorenbildWalter B.

Der Nischenmensch und die Wiener Ratten


Wer mit der U- Bahn fährt schützt die Umwelt, wer mit dem Fahrrad fährt, hält sich fit und wer nicht auf sein Smartphone starrt, lebt länger… und wer den Rattenfänger spielen hört, der folgt ihm…

Es wird endlich wieder warm in Wien und man merkt das nicht nur an den kurzen Röcken, den tiefen Einblicken ins Maurerdekoltee, nein man merkt es vor allem beim Benutzen der Öffis. Stark transpirierende Massen, die sich von A nach B bewegen und ihre Mitmenschen mit den angenehmsten Düften der Stadt versorgen. „Danke Wien, und ja du bist anders, denke ich mir.“ Gerade versuche ich in der u4 einen Artikel über Falco zu lesen, da kommt dieser Hipster in mein Abteil, setzt sich neben mich, und fängt an zu palfradisieren. Er macht einen auf Kaiser und ja ich achte diese hochgeschätzte Rolle sehr, aber in diesem Zusammenhang muss ich leider passen. Zwischen seinem fast schon guten Duft, wohl einer der gutes Eau de Toilette schätzt und auch verwendet und nicht nur drüber redet, sagt er folgendes:„ Privates ist privat, und bleibt nun mal privat“ könnte von „Falco“ sein, ist es aber nicht.“ Der Palfraderhipster, alias Kaiser, steht auf, verbeugt sich vor mir und rennt aus der U- Bahn. Ich bin ziemlich verdutzt, weiß nicht, wie man auf so was reagieren kann und verweile in meinem Artikel über Falco. Dann muss auch ich raus, alleine und ohne Kaiser, fast schon privat, wie ich meinen möchte und dennoch im Sog der Wiener Masse.

Dank dem Datenschutz, weiß niemand mehr, wer wir sind, wo wir sind und was für Pornoseiten wir uns gerade reinziehen…Leute mal ehrlich, wer glaubt schon diesen Firlefanz. Unsere gesammelten, gespeicherten Daten werden schön, still und heimlich aufbewahrt, verkauft, oder was weiß denn schon der Geier, was sie mit unserem gläsernen Ich aufführen.

Hier bin ich und doch sieht mich keiner. Ich bin weder Mainstream, noch Hipster, bin kein Follower, oder Arschkriecher, bin weder in noch out. Man sieht mich nicht, weil ich, nur ich bin. Facebook und Instagram werden von mir boykotiert, Snapchat und Tinder ignoriert. Das wahre Leben bin ich und doch verschwinde ich als Nischenmensch zwischen all den zwei Millionen Menschen Wiens. Die Nische, die mich umgibt spendet mir Trost und hält mich im wahren Leben. Sie supportet mich, ohne mich wirklich zu kennen und ich vertraue ihr mehr als jemand anderen. Unauffindbar, unantastbar, ein „ImBeckenSchwimmer“ und kein „Beckenrandteiler“, Privatsphäre, Gott sei Dank.

Privat bin ich am Limit, tanze zwischen den Sternchen auf der MaHü und übergebe mich in einer gewissen Regelmäßigkeit in die Arme einer viel zu jungen, überdurchschnittlich gut aussehenden Austauschstudentin, angeblich Mathematik und Chemie, um mir meine Ischiasbeschwerden wegzaubern zu lassen. Während sie gerade mit vollsten Körpereinsatz meine Lendenwirbel maltretiert, läutet mein bekacktes Telefon.

Ich mach mal eben einen auf Ignorant, woraufhin böse Blicke, der jungen Mathematikerin auf mich treffen. Also hebe ich ab und am Apparat ist, na ratet mal, richtig, meine Mutter. „Hallo Mama, was kann ich für dich tun?“ Neben mir steht dieses junge Ding und grinst über beide Ohren. „Walter, mein Gott, Walter, wo steckst du nur? Alle sind schon hier. Nur du, du lässt mal wieder auf dich warten.“ „Liebe Mutter, herzallerliebste Mama, ich bin in Bälde bei euch, kann ich noch was mitbringen?“ Beep…Beep…Beep. Aus und Ende denke ich mir, schaue zur Chemiestudentin und nicke ihr zu. Sofort drückt sie ihren Ellbogen auf meine Schmerzen und es tut weh, richtig gut weh. Diese Schmerzen sind so gut, ich könnte vor Freude heulen.

Jedesmal wenn ich von ihr weggehe, fühle ich mich schlecht, weil ich weiß, was heute Nacht meine gedankliche Masturbationsvorlage sein wird, und ja ich habe dafür bezahlt. Danke Kopfkino, was würde ich nur, ohne dich tun. „Gibt es so etwas wie Gedankenprostitution?“

Plötzlich denke ich an die Worte des Hipsters: „ Privates ist privat, und bleibt nun mal privat.“ Dann schaue ich auf all die Menschen auf der MaHü und grinse über meine eigene Phantasie. Schlendernd genieße ich die Inspiration und verweile über beide Ohren lächelnd in der Begegnungszone. „Wie privat sind wir eigentlich?“ Klassische Frage für Dr. Google denke ich, und gebe also meinen Namen ein. Schwupps, poppt ein Fenster auf, Walter B. hier und Walter B. da, man könnte fast meinen, dass Internet sieht mich als Dauergast seiner selbst und dennoch liest man nur endlos lange, langweilige Artikel, es gibt kein Bild von mir im Netz, danke Anonymität, hier bin ich also.

2 Stunden zu spät, aber genau im richtigen Moment, komme ich mit einer Flasche Gin zu meiner Familie. Sie wollen meinen Geburtstag feiern, mich hochleben lassen, wenn die nur wüssten, was ich heute noch alles vorhabe. Meine Schwestern küssen und herzen mich, all ihre Kinder, keine Ahnung, wie viele es mittlerweile sind, schreien nur: „ Kuchen, Kuchen, Kuchen.“ Also gebe ich der Meute was sie will, Schokoladekuchen, Zucker für das Volk, Gin für die Erwachsenen. Endlich kehrt ein wenig Ruhe ein. Meine Mutter lacht und freut sich, dass ich es zu meiner eigenen Party geschafft habe. Ich blicke in die Runde und merke, wie sich der Schmerz verzieht und es sich so richtig gut anfühlt. Es ist gerade 16:36 Uhr am 24.6.2019, da bin ich, ihr Schlawiner, bereit die Welt in Ordnung zu bringen, bereit um all das Chaos zu regieren, bereit für das Kind, das gerade mit voller Wucht auf mich prallt und im Anschluss meine Hose vollkotzt. Ja, ich bin bereit. Hier und jetzt, mit angekotzter Hose und einem kreischenden, nicht mir gehörenden Balg vor meinen Füßen.

Sie fragen sich jetzt bestimmt, was mein Plan ist, wofür ich kämpfe, was ich vorhabe, usw.? Tja wenn ich es Ihnen jetzt schon kundtun würde, wäre der ganze Spaß vorbei, also bitte dranbleiben, nach einer kurzen Werbeunterbrechung, geht es gleich weiter. Erstmal das kreischende Kind seiner Erzeugerin in die Arme drücken, dann die Hose wechseln, gottseidank schmeißt meine Mutter nie etwas weg und gottseidank, passen mir die Hosen immer noch.

Fertig, weiter geht’s im Takt der Musik. Vivaldi läuft im Hintergrund- die 4 Jahreszeiten, wunderschön klingt der Frühling, aber ich steh mehr auf Punk.

Überraschenderweise bringt mir ein Kind eine Tasse Espresso. „Wie geil ist das denn?“, denke ich mir und alles was ich mir schon immer am Ende einer Espressotasse erwartet habe, ist der permanente REFILL, der leider immer ausbleibt und mich deshalb in ein desatröses Wachkoma versetzt, indem ich versuche als Super Mario durch die Zimmer meines Elternhauses zu laufen, Prinzessin Peach zu retten, ohne meine Hosen zu verlieren und am Ende dieser Spielsimulation möchte ich der gesamten Kaffeejunkiegeneration entgegengrunzen. „Moment, Wachkoma, was genau läuft hier eigentlich?“

Irgendjemand schaltet das Licht ein und wieder aus, ein Pulk an Menschen steht um mich herum und jemand ohrfeigt mich und ruft immer wieder: „ Walter, mein Gott, Walter.“ Es ist meine Mutter, sie hat Tränen in den Augen. Es wird wieder dunkel. „Wo bin ich hier nur?“ „Dort ist ein Lichtstrahl, nichts wie hin mit meinem Knackarsch“, denke ich mir. Stimmen über Stimmen, ich kann sie kaum zuordnen. Da meine Mutter, dort schluchzt meine Schwester und irgendwer telefoniert mit der Rettung. „Wozu bitte?“ Mir geht es doch gut, ich bin hier. Jetzt werde ich wohl ignoriert, fühlt sich scheiße an, sollte ich wohl besser lassen, Memo an mich selber, Ende.

Vielleicht endet hier mein Versuch einer neuen Ordnung des Chaos, vielleicht aber auch nicht.

Vivaldi kehrt zurück, es ist Winter. Ich wache auf. Meine Familie lacht und weint gleichzeitig und ich merke, dass ich wieder mal ohnmächtig war. Passiert mir manchmal, einfach so. Was solls? Alles ist wieder gut, wir feiern weiter, die Rettung wird wieder abbestellt und der Gin schmeckt nun umso besser.

Am Ende der Feier, bedanke ich mich bei allen und verabschiede mich höflichst. Dann bricht mein ganz privater Abend an. Ich schnappe mir meinen Rucksack und ziehe fort, fort von meinem Aufzuchtsnest.

Ab in die Bim,

runter zur U-Bahn,

hallo Wien,

hier komme ich,

35 Jahre jung,

frisch, fast geölt,

nimm mich auf in dein Abendlicht

und sag nicht nein,

tu es nicht,

denn ich bin dein.

Die Werbung geht zu Ende und ich höre die Stimme des Hipsters hinter mir:„ Privates ist privat, und bleibt nun mal privat.“ Wie Recht er doch hat, denke ich mir jetzt und genieße das dunkle, schleimige Wien, mit all seinen rechten Ratten in den Bildsäulen. Hört ihr auch alle das Pfeifen des Rattenfängers, endlich geht es los, rennt ihr Ratten, rennt.


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